10.02.2020
Lydia Malin arbeitet seit 2012 im Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Ihre Schwerpunkte sind unter anderem Fachkräfteengpässe, Fachkräftesicherung sowie Personalplanung und -entwicklung. job40plus hat sie zum Thema Fachkräftemangel befragt.
job40plus: Frau Malin, in welchen Berufen und Regionen ist der Fachkräftemangel am größten?
Lydia Malin: Unsere regelmäßigen Studien für das Projekt „Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung“ (www.kofa.de) am Institut der deutschen Wirtschaft zeigen, dass sich die Fachkräfteengpässe seit einigen Jahren kontinuierlich bundesweit verschärfen (vgl. KOFA-Studie 2/2019 „Fachkräftesicherung in Deutschland – diese Potenziale gibt es noch“). Besonders starke Engpässe stellen wir im Handwerk und der Pflege fest, aber auch in Berufen, die durch die Digitalisierung relevanter werden. Das sind vor allem Berufe im verarbeitenden Gewerbe. Im regionalen Vergleich sind aktuell die stärksten Engpässe in Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen zu beobachten.
Wie kann man dem zunehmenden Fachkräftemangel entgegenwirken?
Der Schlüssel liegt in der Personalarbeit. Eine strategische Personalplanung ermöglicht es etwa, zukünftige Personalbedarfe rechtzeitig abzuschätzen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Dazu gehört auch die Personalentwicklung. Beschäftigte können zukünftig neue und andere Aufgaben übernehmen, wenn man sie weiterqualifiziert. Außerdem können neue Zielgruppen stärker in den Blick genommen werden: Ältere, An- und Ungelernte, Menschen mit Behinderung, internationale Fachkräfte und Frauen, die bisher in Teilzeit gearbeitet haben.
Welche Rolle spielen ältere Arbeitnehmer bei der Lösung des Problems?
Da aufgrund des demographischen Wandels die potenziellen Erwerbspersonen immer älter werden, sind ältere Fachkräfte von besonderer Relevanz für die Fachkräftesicherung. Zum einen müssen Unternehmen alles daransetzen, ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen zu halten. Zum anderen sollten Unternehmen bei Neueinstellungen explizit Ältere als mögliche Zielgruppe in den Blick nehmen. Die Beschäftigungsentwicklung der letzten Jahre zeigt, das hier auch schon viel passiert, da immer mehr ältere Männer und insbesondere auch Frauen länger in Beschäftigung bleiben.
Wie können Unternehmen von Älteren profitieren?
Ältere Beschäftigte bieten viele Vorteile. In ihrem Berufsleben haben sich Ältere viel Erfahrung und Fachwissen angeeignet und verfügen häufig über belastbare Netzwerke. Aufgrund ihrer Erfahrung gehen sie zudem mit mehr Besonnenheit an neue Herausforderungen heran als Jüngere und haben eine hohe Problemlösungskompetenz. Bei altersgemischten Teams, die einen strukturierten Wissens- und Erfahrungstransfer ermöglichen, besteht die Herausforderung darin, die verschiedenen Interessen, Bedürfnisse und Arbeitsweisen zu harmonisieren. Dazu braucht es Führungskräfte, die die Bedürfnisse aller Teammitglieder gleichermaßen berücksichtigen. Wir erhalten immer wieder die Rückmeldung, dass Wertschätzung das A und O ist. Darauf gehe ich auch noch im KOFA-Podcast „Generation Erfahrung“ vom 08.04.2019 genauer ein.
Ist das Problem in den Unternehmen angekommen?
Wie die IW-Konjunkturumfrage 2019 zeigt, kommt die langjährige Phase des Beschäftigungsaufbaus in der deutschen Industrie ins Stocken. Trotz dieser Konjunkturschwäche hat die deutsche Wirtschaft nach wie vor große Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen. Insbesondere die konjunkturunabhängigen Branchen wie die Gesundheits- und Sozialdienstleister sind besonders schwer von der Personalnot betroffen, wie der DIHK-Fachkräftereport 2020 aufzeigt.
Wie sehen Sie den Arbeitsmarkt in zehn Jahren?
Die Situation wird sich noch weiter verschärfen. Insbesondere der Übergang der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand führt zu großen Fachkräftelücken, die nicht durch nachkommende Generationen gedeckt werden können. Der demographische Wandel ist daher eine der größten Herausforderungen für die Fachkräftesicherung der Unternehmen. Aufgrund der zunehmenden Fachkräfteengpässe dreht sich der Arbeitsmarkt um: Unternehmen müssen sich zunehmend bei potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bewerben, während die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei steigender Wechselbereitschaft zwischen verschiedenen Arbeitgebern wählen können. Daher wird es für Unternehmen immer wichtiger, sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren und eine Arbeitgebermarke (Employer Branding) aufzubauen.
Das Interview führte Sabine Hildebrandt-Woeckel