„Ich hab doch noch Zeit“

„Ich hab doch noch Zeit“

28.01.2019

Sich mit 40 oder 50 plus erfolgreich zu bewerben, ist nicht immer einfach, darüber sind sich alle Experten einig. Gründe dafür gibt es einige – in der Qualifikation liegen sie zumeist nicht, aber sowohl Unternehmen als auch bei den Kandidaten schaffen Hürden, die ein Zusammenkommen erschweren. Wir wollen uns heute mit einem Bewerberaspekt befassen, der in diesem Zusammenhang nicht so oft thematisiert wird:  Der Zeitpunkt der Bewerbung. Auf unseren Messen erleben wir immer wieder sowohl Kandidaten, die zu früh damit beginnen, als auch solche, die den richtigen Zeitpunkt bereits verpasst haben. Beides kann fatale Folgen haben.

Kandidaten, die noch nicht reif für einen Wiedereinstieg oder Wechsel sind, erkennen wir meistens bereits am Check-in. Entweder schimpfen sie über ihren alten Arbeitgeber, berichten von Verrat, Täuschung, hinterhältigen Chefs und unverschämten Ausstiegsangeboten. Oder aber – auch das ist gar nicht selten: Sie schwärmen vom alten Job, den tollen Aufstiegschancen und/oder der guten Entlohnung. „Gibt es hier überhaupt ein Unternehmen, das bereit ist, meine Expertise zu bezahlen?“, fragte uns tatsächlich im vergangenen Jahr ein Besucher und verabschiedete sich nicht einmal 20 Minuten später mit den Worten. „Unsinn alles hier!“

Man hätte es ahnen können, denn wer uns so begegnet, der tritt auch gegenüber den Unternehmen mit derselben Haltung auf – und das keineswegs nur auf Messen, sondern auch in ganz klassischen Bewerbungsgesprächen. Der will seine Geschichte erzählen – und kann gar nicht aufnehmen, was ein neuer Arbeitgeber zu bieten hätte. Das kann nur schief gehen.

Andererseits erleben wir es aber auch häufig – inbesondere in unseren Beratungen, dass Kandidaten zu lange gewartet haben. Schuld daran sind – so absurd es klingt – nicht selten gute Abfindungen, die Professionals mit ihrem alten Arbeitgeber ausgehandelt haben. Im schlimmsten Fall gepaart mit einer falschen Chanceneinschätzung oder Frusterlebnissen bei ersten schnellen Bewerbungsversuchen , führen sie dazu, dass die Betroffene sich erst einmal ins AUS begeben. „Ich muss jetzt ja noch nicht, ich habe ja noch Zeit“,  heißt es dann. Doch Vorsicht. Hier sollte sich niemand blenden lassen. Nicht nur, dass lange Auszeiten schwer zu erklären sind, sie machen die Sache auch nicht besser. Vor allem falsche Einstellungen und Einschätzungen verstärken sich dann oft nur noch.

Karriereexperten wie die Zukunftsplanerin Silvia Ziolkowski (siehe hier ein Interview mit der Expertin) empfehlen ein dreistufiges Vorgehen, das auch wir nur unterstützen können. Direkt nach dem Ausstieg – egal aus welchem Grund er erfolgt ist – ist eine Auszeit von ein paar Wochen immer gut: Loslassen und versuchen, sich selbst wieder zu spüren: Wer bin ich, was will ich. Nach vier fünf Wochen aber gilt es dann, wieder die ersten Fühler auszustrecken. Das muss noch nicht heißen, sich wirklich konkret umzusehen, aber spätestens jetzt ist es Zeit, den Arbeitsmarkt genauer und realistisch abzuchecken und – noch wichtiger: das eigene Netzwerk zu informieren und zu aktivieren.

Immer wieder erleben wir jedoch, dass gerade erfahrene Kandidaten hier sehr zögerlich sind. Insbesondere wenn der Jobverlust nicht freiwillig war, schämen sie sich oder sie unterschätzen die Wirkung, die sie mit gutem Netzwerken erreichen können. Gerade für Bewerber mit 40plus verspricht der Weg über Kontakte und Netzwerke einen enormen Erfolg bei der Jobsuche. Wer verbirgt, dass er veränderungswillig ist, vergibt einen großen Wettbewerbsvorteil, den er als Erfahrener den Jungen voraus hat.

Wer bereits zwanzig oder dreißig Jahre Berufserfahrung besitzt, hat im Laufe dieser Zeit viele Menschen kennengelernt, die ihm jetzt helfen könn(t)en. Diese Kontakte gilt es ins Gedächtnis zurück zu rufen. Vor allem soziale Netzwerke wie Xing oder LinkedIn können hier bei der Recherche helfen und bieten unzählige Möglichkeiten, alte Kollegen, vielleicht sogar Studienkollegen, wiederzufinden und anzusprechen. Nicht jeder mag in der Lage sein, jetzt wirklich konkret zu helfen, aber vielleicht kennt er jemand, der jemand kennt … oder kann zumindest eine Empfehlung aussprechen. Personalentscheider hören gerne auf solche Tipps.

By the way: Unbedingte Voraussetzung hierfür sind aussagekräftige Online-Profile (siehe hierzu auch das Interview mit Online-Profi Holger Ahrens). Die Angesprochenen müssen sich schließlich ein Bild machen können. Und nicht nur das: Auch Recruiter verbringen heuten bis zu 20 Prozent ihrer Zeit in Karrierenetzwerken. Wer hier ein gepflegtes Profil hat, schlägt also gleich zwei Fliegen mit einer Klappe.

Autorin: Sabine Hildebrandt-Woeckel, Inhaberin von job40plus

Die Kolumne „Geschichten aus dem Alltag von Karriereprofis“ wird im Wechsel von verschiedenen Experten geschrieben. Die bisher erschienenen finden Sie hier.

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